Etwas über ein halbes Jahr ist seit meinem Besuch in der Tierauffangstation „Oasi Argo“ des ehrenamtlichen Vereins „Adozione Argo“ nun vergangen. An keinem Ort der Welt liegt Freude und Leid so nahe beieinander. Täglich wirst du mit dem Tod konfrontiert und damit, wie Hunde von Menschen wie Abfall behandelt werden – und wie wenige Volontäre für das Überleben von so vielen Hunden kämpfen. Der Versuch eines Berichtes.
Den Verein „Adozione Argo“ habe ich bereits in einem Blogartikel vorgestellt und euch auch erzählt, warum ich mich als Pflegestelle für gerade diesen Verein entschieden habe. Ich kannte die Freiwilligen also Anfang 2020 schon etwa ein halbes Jahr lang und war begeistert von der Arbeit, die sie täglich für die Streuner auf Italiens bzw. Kalabriens Straßen leisten.
Mein Aufenthalt im Rifugio war ursprünglich einmal für März geplant, doch dann kam Corona. Ich war sehr enttäuscht, dass mein Besuch ins Wasser fiel, doch am 6.Juli war es dann endlich soweit: Der Familienurlaub hat mich und die beiden Mädels nach Ciró Marina gebracht.
Aufgeregt – überrascht und ganz anders als erwartet!
Während die beiden Mädels dort angekommen natürlich sofort zum Strand liefen, hatte ich nur die Tierauffangstation im Kopf. Ich wollte endlich Caterina, die Leiterin des Rifugio, persönlich kennenlernen, nachdem wir die Monate zuvor fast täglich Kontakt hatten. Ich hatte sogar den Flug über eine Begrüßung eingeübt: „Sugnu contenta di conoscerti personalment“
Den Satz aufzusagen, dazu kam ich erst gar nicht. Denn während ich mich zu Fuß auf dem Weg zum Rifugio aufgemacht habe, kam sie plötzlich angefahren und ich war so überrascht, dass ich zunächst meine gesamten Italienischkenntnisse vergessen habe. Die Aufregung hat sich Gottseidank bald gelegt und ich wurde von Caterina und dem freilaufenden Rudel sehr liebevoll begrüßt.
Die Tierauffangstation
Wer noch nie in einer Tierauffangstation war, kann sich das wohl nur schwer vorstellen. Ich hatte das Rifugio zwar bereits auf unzähligen Bildern gesehen, aber so nah bei den Hunden sein zu können, war eine Ehre für mich. Die Hunde, die frei auf dem großen Gelände rumlaufen können, habe mich freudig und aufgeregt begrüßt. Sie alle wollten geschmust und gekuschelt werden, doch da gibt es Regeln.
Ich habe mir erst nicht viel dabei gedacht, doch wie wichtig die Regeln sind, habe ich schon am zweiten Tag erleben dürfen. Wenn du in ein Rudel von Hunden kommst, kann Eifersucht und Streit entstehen, wenn du einem Hund besonders viel Aufmerksamkeit widmest. Ich bin also erstmal mit dem Cesar-Millan-Gedanken „Nicht anschauen, nicht ansprechen, nicht anfassen!“ da rein.
Wer mich kennt der weiß jetzt natürlich, dass ich das nicht lange durchgehalten – und die Hunde alle liebevoll schmusend begrüßt habe. Das war Gottseidank auch kein Problem, solange ich alle berücksichtigt habe. Was am zweiten Tag allerdings zu einem Problem wurde, war das Bewegen innerhalb des Rifugio.
So ganz anders als erhofft!
Während des Corona-Lockdowns hat es zwei ganz liebevolle Menschen in das Rifugio verschlagen, Hannah und Fabi. Die beiden habe auch in einem Artikel über ihren Besuch berichtet – und das mat mich motiviert. Sie waren fünf Wochen dort und auch ich wollte in den 10 Tagen dort möglichst viel für die Hunde tun. Doch das sollte sich schwieriger gestalten, als gedacht.
Anders als erhofft, konnte ich mich nämlich nicht von Anfang an frei in der Tierauffangstation bewegen, um beispielsweise Fotos von den Hunden machen zu können. Da ich den Hunden noch fremd war, sollten sie sich erst an meinen Geruch gewöhnen. Bereits am zweiten Tag habe ich mich einem Gehege zu nahe angenähert und zwei Hunde sind im Streit aufeinander losgegangen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt!
Alle Pläne über Bord geworfen
Mein Plan, möglichst viele schöne Bilder von den Hunden zu machen, fiel damit also erstmal ins Wasser und sollte auf die zweite Woche verschoben werden. Wie schwierig es werden sollte, überhaupt Zeit für Bilder zu haben, habe ich aber bald gemerkt.
Ursprünglich sollte ich Caterina helfen Holz, welches vor dem Rifugio aufgetürmt war, reinzubringen. Doch wir sind in den ganzen zehn Tagen nie dazu gekommen, denn täglich kamen neue Notfälle ins Rifugio. Ständig gab es irgendwelche Zwischenfälle, Streuner mit Welpen, kranke Hunde, verletzte Hunde auf der Staatsstraße und und und.
Zum Glück blieb es bei dem einem Streit, doch es war ständig irgendwas. An einem Tag wurde ein Hund über Nacht über den Zaun geworfen, am anderen hat ein Hund einen Hitzschlag erlitten und wieder am nächsten Tag verstarb einer der Streunerhunde, den Caterina kurz zuvor auf der Straße aufgelesen hatte.
Angesichts der vielen Arbeit, kann man so wenig tun!
Jeder Tag war eine Überraschung! Ich hätte am liebsten jede freie Minute im Rifugio verbracht. Die Arbeit, die ich bis dato Zuhause für den Verein leisten konnte, kam mir vor Ort angekommen, so nutzlos vor:
Ein paar Beiträge teilen, hier und da Sachspenden einsammeln, Spender suchen, einen Flyer gestalten und Pflegestelle sein. Es ist so wenig was man tun kann, wenn man tausende Kilometer entfernt lebt.
Heute weiß ich zwar wieder, wie wertvoll und wichtig auch diese Arbeit ist, doch wenn du die 250 Hunde vor Ort siehst und merkst, wie viel Arbeit an der Tierauffangstation selbst noch zu machen ist (Schutz vor Hochwasser, Zäune um alle Gehege, ein gesicherter Eingangsbereich für Besucher und vieles mehr), dann kommt dir das erstmal sehr wenig vor. Damals hat es mich in eine Krise gestürzt.
Wir können nicht allen Hunden helfen!
Täglich habe ich neue Streuner auf den Straßen gesehen – und gleichzeitig gewusst, dass Rifugio ist schon an seinen Kapazitätsgrenzen und es kann nicht jedem Hund geholfen werden. Man muss Prioritäten setzen und das Geld ist jeden Monat knapp und die Hunde müssen schließlich auch mit Futter versorgt und vermittelt werden! – Das macht einen ganz schön fertig.
Ein Welpe auf der Straße fiel in die Kategorie Priorität, denn er war krank – und ihm musste geholfen werden. Der arme Welpe versteckt sich ängstlich hinter einem Zaun einer Ziegenherde, war voller Zecken und Parasiten und abgemagert. Doch er lies sich nicht einfangen.
Ich und meine Tochter habe ihn also jeden Tag abends auf dem Rückweg zur Ferienwohnung, da war es ruhiger und er hat sich ein kleines bisschen hervor getraut, gefüttert. Erst nach einigen Tagen konnten wir den kleinen Kerl, den wir auf den Namen Luigi (Kämpfer) tauften, einfangen.
Meine Vision: Das halbe Jahr in Kalabrien verbringen
So ganz habe ich die Eindrücke von damals auch ein halbes Jahr später noch nicht verarbeitet – und noch immer schmerzt es, so wenig tun zu können. Doch eines habe ich mit meinem Mann schon vereinbart: Wenn die beiden Mädels älter sind, möchte ich den Herbst und Winter in der Tierauffangstation verbringen und dort helfen (Wer möchte bei den aktuellen Temperaturen von manchernorts -20 Grad nicht lieber im Süden sein?).
Die Krise, die mich nach dem Besuch getroffen hat, hat mir auch aufgezeigt, welche Dinge in meinem Leben wichtig sind. Und die Streuner – und Hunde im Allgemeinen, haben einen großen Platz in meinem Herzen. Sie tragen auch zu meinem persönlichen Wohlbefinden bei: Zeit mit ihnen zu verbringen, zu helfen, ihre Augen strahlen zu sehen, etwas sinnerfüllendes tun zu können.
Meine Tage im Rifugio
Das ist aber wohl eher eine Vision, die ich in 10 Jahren verwirklichen kann. Heute muss ich mich mit dem zufrieden geben, was ich hier tun kann. Auch meine Tage in der Tierauffangstation waren anders als ich es mir gewünscht hätte. Caterina ist selbst Mama und ihre Tochter verbringt die Zeit sehr gerne mit ihr bei den Hunden. Ich sollte jedoch mit meinen Kids im Urlaub nicht ständig vor Ort sein: Darauf hat Caterina sehr geachtet. Und da ich den Hunden nicht bekannt war habe ich bei einigen Arbeiten auch eher gestört, als dass ich Hilfe sein konnte.
Anders als Hannah und Fabi es in ihren fünf Wochen vor Ort erlebt hatten, konnte ich also keine Zäune aufbauen und alle Hunde fotografieren: Ein Hoch gegriffen Ziel für 10 Tage, auch wenn ich mich hätte von Anfang an völlig frei dort hätte bewegen können.
Ich fühlte mich so nutzlos!
Ich habe also die meiste Zeit im Eingangsbereich und in der Krankenstation verbracht, wo ich mich um Ohana gekümmert habe. Die zauberhafte Hündin war krank und völlig abgemagert. Jeden Tag habe ich zwei Stunden mit ihr verbracht und ihr einen Zugang gelegt, über den sie mit Medikamenten und Flüssigkeit versorgt wurde, weil sie auch kaum getrunken hat.
10 Tage habe ich mich um sie gekümmert – und zwei Tage nach meiner Abreise hat sie uns verlassen. Nur wer dies einmal selbst miterlebt hat kann sie vorstellen, was die Volontäre und vor allem Caterina tagtäglich (er)leben. Caterina liebt jeden der Hunde als wäre es der eigene: Ohana hat sie vor ihrem Tod noch das Meer gezeigt.
Freude und Leid liegen an keinem Ort der Welt so nahe beieinander: Die Freude, dass ein Streuner aufgepeppelt wurde, die Strapazen auf der Straße überlebt hat und in ein neues Zuhause vermittelt werden konnte – und der unendliche Schmerz, wenn ein Hund diese Welt verlässt, um den du dich tage-, wochen- oder monatelang gekümmert hast.
Leben und Tod, Leid und Freude: Das Oasi Argo
Während ich vor Ort war, haben uns einige Hunde verlassen. Einige davon sind über die Regenbogenbrücke gegangen, andere durften in den Tiertransporter steigen und haben sich auf eine spannende Reise in ein neues Leben aufgemacht. Das sind die wunderbaren Momente, die man bestimmt nie vergisst!
Wie bereits erwähnt gibt es auf dem großen Gelände 56 Gehege, jedes davon 100qm groß. Dort sind die Hunde in Gruppen untergebracht und einige davon, etwa 30 Hunde, können sich auf dem ganzen restlichen Gelände frei bewegen. Sie spielen, toben und es ist immer was los. Vor allem, wenn sich Besucht anbahnt – was selten vorkommt.
An einem Tag kam sogar eine Adoptantin persönlich vorbei. Sie sprach nur Englisch und ich durfte als Übersetzerin fungieren. Das war gar nicht so einfach, denn ich bin es nicht gewohnt, vom Italienischen ins Englische zu übersetzen und so habe ich natürlich erst vom Italienischen ins Deutsche und weiter ins Englische übersetzt und aus meinem Mund kam ein Wirr-Warr aus ganz unterschiedlichen Sprachen. Aber irgendwie hat es dann doch geklappt!
Abschließendes Fazit
Wenn ich auf die wunderschönen zehn Tage im Oasi Argo zurückblicken stellen ich fest, dass die Tage so überraschend anders waren. Anders als erhofft – und wie ich es von Hannahs und Fabis Beitrag erwartet hatte – und doch vielleicht gerade richtig für mich.
Ich habe unglaublich viel gelernt, nicht nur wie man einen Zugang bei einem Hund legt und dass man sich besser keinem sein Territorium verteidigenden Maremmano-Mix nähern sollte, sondern so viel über das Leben – und über mich selbst!
Das Vertrauen, das Caterina mir entgegengebracht hat (Flebo machen, Tabletten verabreichen) hat mich unglaublich geehrt, kannten wir uns doch nicht persönlich. Und eines ist sicher: Das war nicht mein letzter Aufenthalt im Oasi Argo. Ich habe nicht nur die Region, das Meer und die wunderbare Landschaft ins Herz geschlossen, sondern vor allem auch Caterina und ihre Hunde!