Als Pflegefamilie für den Verein „Adozione Argo“ erleichtern wir Hunden den Schritt in ein neues Leben. Bevor wir uns auf dieses Abenteuer eingelassen haben, habe ich mich vorab über die Organisation bzw. den Verein informiert – wie berichtet. Heute möchte ich euch den Verein und die Freiwilligen einmal näher vorstellen und damit auch den Adoptanten der Hunde der „Oasi Argo“ einen Einblick geben, woher die Hunde kommen und wie sie vor Ort leben. Los geht’s!
Der Verein „Adozione Argo“ in Kalabrien
Der Verein „Adozione Argo“ wurde 2014 von Caterina Semerano gegründet und zwar mit der Idee, eine Oase für Mensch und Hund zu schaffen. In Cirò Marina/Kalabrien sollte ein soziales Projekt entstehen, dass einerseits Streuner aufnimmt und Hunde aus den staatlichen Canile holt und vermittelt sowie andererseits Hunde zum Zweck der sog. „Pet-Therapy“, also der tiergestützten Therapie ausbildet und einsetzt. Diese ursprüngliche Idee des Vereins wurde leider aus verschiedenen Gründen (auf die ich später noch eingehe) noch nicht erreicht.
Die Gründerin, Caterina Semerano, war zuvor bereits viele Jahre als Volontärin und Tierschützerin (u.a. für OIPA Crotone)in der Region aktiv und verspürte bereits in ihrer Kindheit den großen Wunsch, den Schwächsten zu helfen. Bereits als Jugendliche nahm sie kranke oder verletzte Straßenhunde bei sich auf, fütterte und pflegte sie gesund und vermittelte sie an Freunde weiter. Bis sie dann 2014 gemeinsam mit einigen anderen Tierschützern den Verein „Adozione Argo“ gegründet hat. Ein Verein, der sich seit vielen Jahren gegen die mafiösen und korrupten Machenschaften im süditalienischen Tierschutz richtet.
Lesetipp: Ein Blick auf die Situation in Italien
Alleine gegen den Rest der Welt
In Süditalien sind die Tierschutzvereine, die Hundepflegen und vermitteln, leider nicht gerne gesehen. Einen kleinen Einblick in die Situation vor Ort und das System Canile wurde bereits in einem der letzten Artikel geschildert.
Den ehrenamtlichen Helfern wird das Leben schwer gemacht: Sie werden beschimpft und bedroht. Das hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass die ursprünglichen 22 Unterstützer dem Verein den Rücken zugekehrt haben. Heute ist nur noch Caterina von ihnen übrig, die sich tagtäglich um die etwa 250 Hunde ihrer „Oasi Canina“ kümmert. Regionale Unterstützung oder Hilfe von der Gemeinde bekommt sie nicht – im Gegenteil, schließlich verdienen diese an den „canili“mit.
Anders als bei uns werden Tierschutzvereine in Süditalien nicht unterstützt, sondern sind komplett auf sich alleine und somit auf viele ehrenamtliche Helfer gestellt (in Südtirol ansässige Vereine erhalten für Ihre Tätigkeit eine Spesenrückvergütung: Vereine, die mindestens 100.000 Euro an bezahlten Rechnungen vorweisen, erhalten den Beitrag von 56.000€. Bis zum Jahr 2016 gab es sogar 56.000€ pro 65.000€).
Lesetipp: Ein persönlicher Blick auf den Tierschutz in Südtirol
Die Tierauffangstation „Oasi Argo“
Der Verein „Adozione Argo“ ist ein von der Region Kalabrien anerkannter gemeinnütziger Verein ohne Gewinnabsicht (Link zur Eintragung im Vereinsregister der Region), der die Tierauffangstation / Rifugio „Oasi Argo“ betreibt. Dort gewährt Caterina, die Gründerin und Vorsitzende des Vereins, Streunern und ausgesetzten Hunden Zuflucht und gibt ihnen ein (vorübergehendes) Zuhause. Aktuell sind es etwa 250 Hunde, die in der Tierauffangstation des Non-Profit-Vereins mit viel Hingabe, Leidenschaft, Liebe und Fürsorge täglich betreut, gefüttert und gepflegt werden. Wie der Alltag außerhalb der Auffangstation auf den Straßen Kalabriens aussieht, hat ein Artikel einer bekannten Tageszeitung treffend beschrieben:
… wo ein Beagle, der gerade ein Kind zur Welt bringt, aus dem Auto geworfen wird, wo ein wehrloser Hund mit Stöcken getötet wird, wo ein Maremmen-Abruzzen-Schäferhund mit dem Seil um den Hals aufgehängt wird, der noch zuversichtlich und seinen Besitzer liebend mit dem Schwanz wedelt.
Corriere.it
Übrigens: Wie schwierig es ist, einen seriösen und ehrlichen italienischen Tierschutzverein wie „Adozione Argo“ zu finden, zeigt dieser Beitrag von Norbert Steins von Legaproanimale: „Tierschutz in Italien“
Caterina kümmert sie sich bedingungslos um alle Hunde, egal auf welchem Weg sie zu ihr gekommen sind. Einige werden von der Straße aufgelesen (blind, von Parasiten befallen und viel zu dünn wie Ohana), andere in einen Plastikbeutel oder Karton gepackt über den Zaun geworfen wie Hündin Life und Rüde Denver. Wieder andere rettet sie aus schlechter Haltung, z.B. Yomo – der übrigens auch noch ein Zuhause sucht oder werden von besonders gütigenJägern bei ihr abgegeben, anstatt mit einem Kopfschuss getötet.
Die Zahl der hilfebedürftigen Hunde scheint schier unendlich – und ihnen gegenüber steht eine einzige Frau, die seit Jahren verzweifelt und alleine dafür kämpft, das Streunerproblem einzudämmen – und mindestens genauso lange händeringend hofft, endlich respektiert und verstanden zu werden. Doch die Bevölkerung in Süditalien lässt sich nicht gerne belehren: Kastrieren? – Nein, das entspricht nicht der Natur des Hundes! Zudem wäre eine Kastration ein zusätzlicher Kostenfaktor. Ein Hund ein Lebewesen mit einer Seele? – Nein! Es gibt nur wenige Menschen wie Caterina, die davon überzeugt sind, dass es einen anderen Weg, einen anderen Umgang mit den Tieren geben muss. Viele Menschen behandeln ihre Tiere (Hunde wie Katzen) immer noch nicht mit dem nötigen Respekt und lassen ihnen keinerlei Wertschätzung zukommen.
Tierschützer und Volontäre müssen täglich schlimme Dinge miterleben und leider allzu oft das schreckliche und grausame Wesen vieler Menschen sehen: Menschen die ihre ehemaligen Arbeitshunde in der brütenden Hitze des kalabresischen Sommers am Strand aussetzen oder schlimmer, sie verletzt auf der Straße zurücklassen, einem qualvollen Tod geweiht. Bilder, die wir uns nicht vorstellen – ja nicht einmal erahnen können.
Eine Tragödie sucht die Oasi heim!
Die tägliche Arbeit finanziert der Verein allein durch private Spenden und ohne Gelder des öffentlichen Sektors. Die Geldsorgen wurden jedoch durch eine schlimme Überschwemmung des Rifugio Ende 2018 immens: Über 80.000€ an Schäden entstanden innerhalb weniger Tage durch ein schreckliches Unwetter.
Seither muss die Oasi aus eigenen Mitteln wieder neu aufgebaut und vor Hochwasser gesichert werden. Dies ist einer der Gründe, warum aktuell die wundervolle Idee einer Oase für Tiere mit sozialem Hintergrund (Pet Therapy) noch nicht realisiert werden kann. Außerdem nimmt die tägliche Versorgung der Hunde (Fütterung, Säubern der Gehege, medizinische Versorgung, Pflege, Kontrolle und Sicherung der Gehege u.v.m.) so viel Zeit in Anspruch – und Caterina ist alleine – dass für weitere Dinge keine Zeit bleibt.
Selbst heute, 1 ½ Jahre nach dem Unglück, ist der Wiederaufbau der „Oasi Argo“ noch nicht abgeschlossen: Es müssen Zäune repariert werden, Holzhütten aufgebaut und regensicher gemacht und Abflussgräben betoniert werden. Dazu kommen Instandhaltungsarbeiten, z.B. weil Hunde einen Zaun einreisen oder untergraben oder weil ganz einfach gemäht werden muss. Sehr viel Arbeit für eine Einzelperson ohne (oder mit nur sehr wenigen) freiwillige Helfer!
Leider stellen sich viele Menschen den Alltag von Tierschützern sehr romantisch vor: Ein bisschen Hunde füttern und dann wird den ganzen Tag gekuschelt. Viele glauben bedauerlicherweise, Tierschutzarbeit ist eben nur „ein bisschen Hunde kraulen“! Doch diese verträumte Vorstellung ist weit von der Realität entfernt! Ein Rifugio, also eine Tierauffangstation wie die „Oasi Argo“ zu führen ist ein wahrer Knochenjob! Ein tagtäglicher Kraftakt, der Caterina und die wenigen Volontäre, die sie zu entlasten versuchen, immer wieder an Ihre Grenzen bringt – und darüber hinaus. Ein Ringen um jede Spende und um jedes weggeworfene Leben!
Der Alltag als Tierschützer im Süden ist alles anders als romantisch!
Die oben beschriebene Katastrophe von 2018 ist nur eines der Unheile, welche Caterina erdulden musste. Ihre Liebe zu den Hunden wird von vielen Menschen nicht verstanden, weshalb sie immer wieder Opfer von Vandalismus ist. U.a. wurde das Auto ihres geliebten, verstorben Vaters abgebrannt und der Tiertransporter, eines der wichtigsten Werkzeuge bei der Hundevermittlung, wurde beschädigt.
Der Tod wartet um die Ecke
Doch damit nicht genug: Kannst du dir vorstellen, wie viele Hunde schon in Caterinas Armen gestorben sind? Und jeden einzelnen davon hat sie geliebt wie ihr eigenes Kind. Was geht in einer Frau vor, die tagtäglich die Kraft aufbringt, diesem Elend gegenüber zu treten? Wofür das alles?
Fast täglich steht „mamma orso“ (zu dt. Mama Bär, wie sie von den Volontären liebevoll genannt wird) um 4 Uhr auf um für ihre Familie das Frühstück vorzubereiten, die Hemden für den Mann aufzubügeln und das Haus sauber und gepflegt zu verlassen, wenn sie um 7 Uhr ins Rifugio fährt. Dort wartet auf sie ein Tag voller harter Arbeit. Eine Zuflucht für viele hilfebedürftige Tiere, die sich (seit der Überschwemmung am 5. Oktober 2018) in einer ernsthaften wirtschaftlichen Notlage befindet und wieder von Grund auf neu aufgebaut werden muss!
Dabei wartet der Tod hinter jeder Ecke: Wer die Facebook-Seite des Vereins verfolgt, wird mit tragischen Bildern und unfassbar herzzerreißenden Geschichten konfrontiert, u.a. mit ausgemergelten und kranken Hunden und ausgestoßene Hündinnen mit neugeborenen Welpen. Es sind grausame, unmenschliche Bilder, die leider die tagtäglichen Geschehnisse wiederspiegeln, denen sich Caterina immer wieder stellt.
Tagsüber werde die 250 Hunde gefüttert und ihnen wird frisches Wasser gegeben. Einige Hunde müssen eine besondere Diät einhalten oder werden zweimal täglich medizinisch versorgt. Dann werden die 53 Gehege gesäubert und Instandhaltungsarbeiten an ihnen durchgeführt. Zusätzlich werden alle Hunde täglich kontrolliert: Wie geht es dem Hund? Ist er gesund? Muss ein Zeckenmittel aufgebracht oder die Ohren gesäubert werden?
Außerdem werden fast täglich Hunde zum Tierarzt gebracht, einige davon, weil sie verletzt aufgefunden wurden, andere weil sie kastriert werden müssen. Fast täglich kommen neue Notfälle in die Auffangstation!
Einen Einblick, wie der Alltag im Tierschutzverein aussieht, bekommst du auch in diesem wundervollen Artikel von Bettina Marie Schneider „Warum so viele Tierschutzvereine scheitern!“.
Abends, wenn Caterina erschöpft und mit Schmerzen in jedem ihrer Glieder nach Hause kommt, wartet wieder jede Menge Arbeit auf sie: Nicht nur Hausarbeiten und die eigene Familie, die umsorgt und bekocht werden möchte, sondern auch die Buchhaltung des Vereins, Spendenquittungen, Mitgliedsanträge, Dankesbriefe, die Spendersuche, und vieles mehr. Sie muss neue Hunde im Hunderegister eintragen lassen, für ausreisebereite Hunde die Hundepässe ausstellen lassen, sich um Traces und den Transport kümmert und damit nicht genug: Sind die Hunde erst auf Reise, bleibt Caterina die ganze Nacht über wach und verfolgt den Transport.
Außerdem muss das Futter bestellt und Rate für Rate auch die Schulden des Wiederaufbaus abbezahlt werden. Sie muss sich Informationen anlesen, lernen, Gesetze studieren – sie darf für ihre Hunde keine Fehler machen – denn jeder Fehler kostet entweder Geld oder noch schlimmer, Tierleben. Könntest du dir vorstellen, unter diesem Druck zu leben? Auf keinen Fall versagen oder krank werden zu dürfen und keinen Tag zu fehlen? Und das 365 Tage im Jahr über viele Jahre? Wärst du bereit, dein Leben völlig aufzugeben, um dich nur den Tieren zu widmen?
Caterina ist Rechtsanwalt, Steuerprüfer, Tierarzt, Ingenieur, Bauarbeiter… – und das jeden Tag, 365 Tage im Jahr. Kaum jemand kann sich vorstellen was es wirklich bedeutet, ganz alleine einen Verein – ein Rifugio zu führen, dessen Existenz und Überleben auf Gedeih und Verderb auf das Funktionieren dieser einen Person angewiesen ist! Welch‘ große Liebe muss diese Frau für die verletzlichen und schutzlosen Geschöpfe haben, um dieses Opfer zu bringen!
Fragt man Caterina selbst, weshalb sie sich für die Existenz des Rifugios und die vielen schutzlosen Straßenhunde Kalabriens tagtäglich aufopfert, erhält man folgende Antwort: „Meine Motivation? Ich würde sagen, ich habe darin den Sinn meines Lebens gefunden. Mein Ziel ist es, so viele Hunde wie möglich zu retten. Dabei geht es mir aber nicht darum, möglichst viele Hunde zu vermitteln, sondern Hunde GUT zu vermitteln. Ach, es gäbe so viel zu sagen. Sehr viel! Aber ich kann allen nur eines sagen: Diese Welt gehört uns Menschen nicht. Wir alle verlassen sie eines Tages und wissen nicht, was dann kommt. Aber lasst uns wenigstens so lange wir da sind, etwas Sinnvolles mit unserem Leben anfangen.“
Also, wer ist Caterina Semerano?
Geboren und aufgewachsen ist die heute 48-jährige in Botricello, einer kleinen Gemeinde der Provinz Catanzaro in Kalabrien. Ihr Vater, ihr größter Halt und Lehrer, stammte aus Apulien und ihre Mutter ist Kalabresin. Ob das wohl ihre Hartnäckigkeit und ihr Durchhaltevermögen erklärt?
Caterina spricht nicht gerne über sich selbst, denn ihr Lebensmittelpunkt sind die Hunde. Kaum jemand kennt die Frau hinter der Fassade: Eine Frau, die nur für die Hunde lebt, der Aufrichtigkeit das oberste Gebot ist, die gerne teilt, Klatsch hasst, der das Recht auf Privatsphäre wichtig ist und die an die Prinzipien der Familie glaubt. Sie ist denen treu, die an das Gute glauben.
Schon in Caterinas Kindheit gab es unzählige Hunde auf den Straßen Kalabriens und zahlreiche Welpen kamen ungeplant auf diese Welt. So auch Laika, ein deutscher Schäferhund, der in einer befreundeten Familie geboren wurde. Caterinas Vater hatte sich seiner angenommen und der stattliche Schäferhund, welcher Caterinas bester Freund wurde, lag bereits neben ihr, als sie noch ein Baby war. 12 volle Jahre begleitete Laike Caterina wie ein Schatten und beschützte das heranwachsende Mädchen.
An ihre Kindheit erinnert sich Caterina heute noch unglaublich gerne und voller Dankbarkeit zurück. Und es sind wohl diese Erfahrungen, die ihr Verständnis für das Zusammenleben mit Tieren geprägt haben. Heute lebt Caterina etwa mit 250 Mal so vielen Hunden, die sie alle vor einem Leben in einem „canile“ bewahrt hat.
Caterina lebt ein Leben am Limit: Am finanziellen Limit, am Limit an Zeit, an Kapazität und am Limit an Kraft.
Du möchtest helfen?
Dafür hast du jede Menge Möglichkeiten zu helfen. Mehr dazu findest du in der deutschsprachigen Facebook Gruppe des Vereins.
Eine Anmerkung zum Schluss: Da die Volontäre für die Tierschutzarbeit nicht bezahlt werden (im Gegenteil), zwingt sie natürlich niemand, sich diesem Stress auszusetzen. Doch sie machen das aus Liebe zu den Tieren und weil sie davon überzeugt sind, wirklich sinnvoll den Streunern helfen zu können. Mit diesem Artikel will ich ein wenig aufzeigen, welches persönliche Engagement und welcher Zeit- und letztlich auch Kostenaufwand in der Arbeit der Associazione Adozione Argo – und bestimmt auch anderer Tierschutzvereine – steckt.
Quellenangaben:
Warum Tierschutz in Italien?
Legaproanimale.de
Qual è a differenza tra canile e rifugio per cani
Oasi Argo
Forum TiamoItalia
Sportello per i diritti dei animali